Arbeitsschritte
der Analyse
Die 8 Arbeitsschritte der Systemanalyse
Das Vorgehen bei der angewendeten Methodik der ganzheitlichen Systemanalyse, wie sie u.a. Frederic Vester im „Sensitivitätsmodell“ beschreibt, erfolgt teils manuell, teils computerunterstützt. Im Wesentlichen umfasst die Untersuchungsmethode acht Arbeitsschritte. Der Prozess ist iterativ und ermöglicht das wiederholte Integrieren von Feedback aller Beteiligten (hier: Forschungsprojektteam, Beirat aus Praxis und Wissenschaft und weitere Expert:innen) in die Arbeitsschritte.
Die Methodik der ganzheitlichen Systemanalyse hat Frederic Vester insbesondere auch als «Relevanz-Filter» für die Datenintegration sowie Datenreduktion angelegt. Daher ist der Prozess auch dahingehend iterativ gestaltet, zuerst die relevanten Einflussgrößen herauszuarbeiten, ohne vorab schon – wie bei anderenAnalysemethoden – große Mengen an Daten sammeln und auswerten zu müssen.
Eine weitere Besonderheitdes Verfahrens ist die Möglichkeit der Berücksichtigung und Verwendung vonqualitativen und quantitativen Aspekten. Einflussgrößen können quantitativ oderqualitativ definiert sein. Ein Beispiel einer ‘harten’ (quantitativen)Einflussgröße wäre der CO2-Preis, ein Beispiel für eine ‘weiche’(qualitative) Einflussgröße wären etwa “Veränderungsängste”. (Hier kommt vorraussichtlich noch ein Satz hinzu)
Weitere Details findet ihr in der Beschreibung der folgenden acht Arbeitsschritte.
Fragestellung, Systembeschreibung und -abgrenzung
Schritt 1
Im ersten Schritt erfolgt die Definition der zentralen Fragestellung, die Beschreibung der Systemebenen, des Detaillierungsgrades (auch Granularität oder Flughöhe) sowie der Systemgrenzen. Auf Basis dieser Systembeschreibung findet dann die passende Auswahl und Einbeziehung von Beteiligten statt.
In unserem Forschungsprojekt begleitet ein Beirat aus Wissenschaft und Praxis aus den von uns zuvor identifizierten 12 Bereichen des Bau- und Gebäudebereichs das Projekt.
Links:
Prozess und Ablauf:
Die vom Forschungskernteam aufgestellte zentrale Fragestellung des Forschungsprojekts lautet
»Wo liegen die wirksamsten Wirkungskreise, Stellhebel und Handlungspotentiale der relevanten Akteur:innen des Bau- und Gebäudebereichs zur nachhaltigen Transformation, orientiert an den 10 Forderungen der A4F?«
Die identifizierten 12 Bereichen des Bau- und Gebäudebereichs: Politik & Governance, Wirtschaft, Schadstoffe & Emissionen, Materialkreisläufe, Energiekreisläufe, Wasserkreisläufe, Biodiversität, Mobilität & Logistik, Stadt- und Raumplanung, Zivilgesellschaft, Humanökologie, Medien
Ergänzte Formulierung der Fragestellung & Systemgrenzen: Untersetzung zur Fragestellung aus den Diskussionen und Erkenntnissen aus WS 1A und WS 1B (mit Beirat)
Variablen (Einflussgrößen)
Schritt 2 - Definition der Variablen (Einflussgrößen)
Im zweiten Schritt geht es um das gemeinsame Sammeln und Clustern von Variablen (auch Einflussgrößen genannt) hinsichtlich der zuvor bestimmten zentralen Fragestellung und Systemebene. Variablen sind veränderliche, „variable“, bewegliche (Einfluss)Größen des betrachteten Systems. Bei der ganzheitlichen Systemanalyse ist es vorgesehen, quantitative und qualitative Einflussgrößen mitzudenken und in die Auswahl aufzunehmen. Hinter >quantitativen< Variablen stehen greifbare materielle Fakten, Techniken und Zahlen, hinter >qualitativen< Variablen stehen weniger greifbare Daten wie Gefühle, Meinungen und individuelles Bestreben, Attraktivität, Verhaltensweisen.
Anschließend erfolgen eine Beschreibung und erste Konkretisierung (Operationalisierung) mit Hilfe einer Skala zu jeder Variable. Auch die Skalen können quantitativ oder qualitativ beschrieben sein. In diesem ersten Schritt wird bereits deutlich, welche Daten für die genauere Beschreibung der Variablen nötig sind, und welche Daten nicht notwendig sind.
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Prozess und Ablauf:
Variablen - Prozess
Mit dem Beirat aus Wissenschaft und Praxis und weiteren geladenen Gästen als Expert:innen aus dem Bau- und Gebäudebereich
Variable - Beispiel
Die Variable "Nutzbarmachung von Fläche im Bestand" als Beispiel der 33 (vorläufigen) Variablen. Über den Button oben rechts gelangen sie zu der Übersicht der 33 Variablen (zur Zeit nur mit Kurzbeschreibungen hinterlegt)
Prüfung der Systemrelevanz
Schritt 3
Nach der Sammlung und Beschreibung der Variablen erfolgt deren Prüfung auf Vollständigkeit anhand der 18 spezifischen Systemkriterien nach Vester. Diese lauten:
7 essenzielle Lebensbereiche:
Wirtschaft, Beteiligte, Raumnutzung, Befinden, Umweltbezug, Infrastruktur, Regeln und Gesetze
3 Physikalische Kriterien:
Materie, Energie, Information
4 Dynamische Kriterien:
Fluss, Struktur, zeitliche und räumliche Dynamik
4 Systembeziehungen:
Öffnung des Systems durch Input oder Output, von innen oder von außen steuerbar
Bei dieser Prüfung werden Variablen auch aggregiert (zusammengefasst), wenn mehrere die gleichen Kriterien abdecken oder bei fehlenden Aspekten durch neue ergänzt, um sicherzustellen, dass das System gemäß der 18 Systemkriterien mit den gewählten Variablen vollständig erfasst ist.
Das untersuchte System ist nach diesen Schritten i.R. durch einen Satz von zirka 20 bis 35 systemrelevanten Variablen abgebildet. Durch diesen Prozess – immer unter Fokussierung auf die zentrale Fragestellung und auf die untersuchte Systemebene – wird iterativ die Zahl der Variablen (Einflussgrößen) einschließlich der dahinterstehenden Datenmenge reduziert.
Kurzgefasste Aussagen zur Systemrelevanz des vorläufigen Variablensatzes von 33 Variablen des untersuchten Systems „Bau- und Gebäudebereich"
(Stand Mai 2024):
- Aussagen zur Aggregation und Systemebene
Die 33 vorläufigen Variablen decken überwiegend sehr viele Kriterien gleichzeitig ab. D.h., sie sind alle hoch aggregiert, was in den ausführlichen und mit Literatur hinterlegten Variablenbeschreibungen deutlich wird. Die Variablen liegen auch alle etwa auf der gleichen „Aggregationsebene“ oder „Granularität“. Die Variablen liegen damit Großteils auch auf der gleichen, in der Fragestellung des Forschungsprojektes beschriebenen Systemebene („Flughöhe“).
- Aussagen zur Vollständigkeit der Variablen
Alle 18 Systemkriterien sind mit den erarbeiteten 33 Variablen somit hinreichend abgedeckt. Kein Bereich ist deutlich unterrepräsentiert, d.h. es fehlen aus systemischer Sicht keine wesentlichen Bereiche oder Aspekte in der Systemanalyse.
- Aussagen zu der Abdeckung der „7 Lebensbereiche“
Schwerpunkte des untersuchten Systems werden bei der Relevanzprüfung bereits deutlich.
Zuerst ein klares Vorherrschen von zwei Lebensbereichen:
- Wirtschaft (29,5 Pkt.)
- Regeln und Gesetze (26 Pkt.)
Dann folgen die Bereiche
- Umweltbezug (18 Pkt.)
- Beteiligte (15,5 Pkt.)
Damit wird auch hier, schon auf der Ebene der Variablen deutlich, dass das System „Bau und Gebäude“ bisher im Wesentlichen von „Wirtschaftlichen Aspekten“ sowie „Regeln und Gesetze“ dominiert scheint. Weit weniger werden Aspekte des „Umweltbezugs“ wie auch die Bedürfnisse der „Beteiligten“ berücksichtigt, was sich durchaus in der Realität der IST-Situation zeigt.
- Aussagen zur Abdeckung der „3 Physikalischen Kriterien“
- Information und Kommunikation (27,5 Pkt.)
- Energie (19,5 Pkt.)
- Materie (17 Pkt.)
Hier zeigt sich, dass Variablen zu „Information und Kommunikation“ mit 27,5 Pkt. im System „Bau und Gebäude“ sehr stark vertreten sind und diese Aspekte als mögliche Steuerungshebel daher eine wichtige Rolle spielen.
Es folgt die „Energie“ mit 19,5 Pkt., Energie, die ebenfalls von großer Relevanz für die zukünftige Steuerung ist. Gefolgt von „Materie“ (17 Pkt.), die ebenso wichtig ist.
Doch das deutliche Überwiegen von „Information und Kommunikation“ weist darauf hin, dass viele Ansatzpunkte für zukünftige Steuerungsmöglichkeiten in der Information und Kommunikation liegen.
- Aussagen zu Dynamik und Systemverhalten sowie zur Öffnung und Vernetzung des Systems
Der Großteil der Variablen und des Gesamtsystems ist durch hohe Dynamik und Bewegung geprägt, wie die Punkte für zeitliche Dynamik (31 Pkt.) und für Flussgrößen (26 Pkt.) zeigen, durchaus auch noch durch Strukturgrößen (17,5 Pkt.), und weniger durch räumliche Dynamik (14 Pkt.).
- Öffnung und Vernetzung des Systems
Die Systemkriterien „Öffnung durch Input“ (30 Pkt.) und „Öffnung durch Output“ (26 Pkt.) sind stark in den Variablen repräsentiert. Das System ist somit ausgewogen mit seiner Umwelt durch Input wie durch Output geöffnet. Gleichzeitig wird durch die hohe Zahl von Input- und Outputvariablen auch ein hoher Vernetzungsgrad des Systems mit übergeordneten und untergeordneten Systemen charakterisiert.
Das System ist auch nach innen und nach außen stark vernetzt. Mit diesen zahlreichen Vernetzungen bestehen auch starke Abhängigkeiten des Systems „Bau und Gebäude“, aber andererseits auch mögliche Synergiepotentiale.
Aussagen zur Beeinflussbarkeit und Steuerbarkeit lassen sich ableiten in der hohen Abdeckung der Kriterien „Beeinflussbar von Innen“ (25 Pkt.) und vor allem auch „Beeinflussbar von außen“ (31,5 Pkt.). Das heißt, viele derVariablen des untersuchten Systems können stark von innen gesteuert werden, wenngleich die Beeinflussbarkeiten von außerhalb des untersuchten Systems überwiegen. Eine Steuerung von innen bedeutet die Möglichkeit der Steuerung durch Aspekte, die in den Variablen enthalten sind. Beispiele für Beeinflussungen von außen wären Zinsveränderungen durch die EZB, Gesetze auf EU-Ebene oder globaler Ebene.
Links:
Prozess und Ablauf:
Abbildung Relevanzprüfung: Matrix-Übersicht Gesamtabdeckung der Kriterien durch die 33 Variablen des Systemmodells „Bau- und Gebäudebereich“
(Stand Mai 2024), Abbildung aus Software Tools System Logics T.T. GmbH
Abbildung Relevanzprüfung: Gesamtabdeckung der Kriterien durch die 33 Variablen des Systemmodells „Bau- und Gebäudebereich“ (Stand Mai 2024), Abbildung aus Software Tools System Logics T.T. GmbH
Bewertung der Wirkungsstärken
Schritt 4 - Bewertung der Einflüsse und Wirkungsstärken
In diesem Schritt bewertet das Team gemeinsam mit dem Beirat die Wirkungsstärken. Bei der Bewertung der Wirkungsstärken wird untersucht, wie stark jede einzelne Variable direkt auf jede andere Variable wirkt und wie stark sie selbst von jeder anderen Variablen direkt beeinflusst ist. Wichtig ist hier, dass es sich um aktuelle und potenzielle Wirkungen handelt. Indirekte Wirkungen ergeben sich automatisch und werden in der Software angezeigt.
Die Beteiligten geben die Wirkungsstärken in die Einflussmatrix (Impact-Matrix) in der Software ein. Nach Erstellen von einer ausreichenden Anzahl von Vergleichsmatrizen zur Validierung der Bewertungen (hier im Forschungsprojekt sechs Matrizen) findet eine gemeinsame Diskussion mit Konsensfindung statt. Die Bewertung der Wirkungsstärken der Variablen wird – soweit möglich und notwendig – mit quantitativen Daten oder auch qualitativen Informationen hinterlegt.
Auch bei diesem Schritt werden die Definitionen der Einflussgrößen iterativ präzisiert oder redefiniert. Dabei zeigt sich deutlich, welche Daten und Informationen für eine fundierte Bewertung relevant sind. Entsprechend führen das Kernteam und der Beirat mit genau diesem Fokus weitere Recherchen zu den Wirkungsstärken durch.
Die in der Software aufaddierten Wirkungsstärken jeder einzelnen Variable in der Einflussmatrix zu Aktiv- und Reaktivsummen definieren die potenziellen Eigenschaften und Rolle jeder Variable im System als aktiv, reaktiv, puffernd, neutral oder kritisch.
(Siehe Schritt 5 - Sensitivity Map)
Links:
Prozess und Ablauf:
Sensitivity Map
Schritt 5 - Sensitivity Map: Identifikation der Stellhebel, Puffer, Risiken und Potentiale
In der aus der Einflussmatrix berechneten Sensitivity Map ist die Sensitivität und der Charakter jeder einzelnen Variablen im untersuchten System mit ihren Eigenschaften als aktiv, reaktiv, puffernd, neutral oder kritisch ablesbar.
So ist eine klare Identifizierung der Stellhebel, der Puffer, Risiken und Potentiale im analysierten System möglich. Auch das Gesamtverhalten des Systems – etwa als stabiles oder als starres System, als veränderbar, als volatil oder als kritisch – entsprechend der Verteilung der Variablen im Spannungsfeld zwischen aktiv und reaktiv, puffernd und kritisch – wird hier verständlich und transparent.
Dieser Analyseschritt macht erneut sichtbar, für welche Einflussgrößen weitere differenziertere und detailliertere Daten und Informationen zu hinterlegen sind.
Links:
Prozess und Ablauf:
Die Sensitivity Map (noch ohne Darstellung der Variablen)
Hier werden die in der Software aufaddierten Wirkungsstärken jeder einzelnen Variable in der Einflussmatrix zu Aktiv- und Reaktivsummen dargestellt. Diese definieren die potentiellen Eigenschaften und Rolle jeder Variable im System als aktiv, reaktiv, puffernd, neutral oder kritisch.
Darstellung © 2023 System Logics Online-Tools
Vernetzung und Wirkungskreise
Schritt 6 - Visualisierung und Analyse der intersystemischen Vernetzung und Wirkungskreise
In diesem Arbeitsschritt wird ein grafisches Wirkungsnetz zur Analyse und Visualisierung des Gesamtsystems erstellt. Die Vernetzung der Einflussgrößen ist mit den aktuellen, relevanten und stärksten Wirkungen in Form von Pfeilen dargestellt. Dabei wird zwischen gleichgerichteten und gegen gerichteten Wirkungen unterschieden. Gleichgerichtete Wirkungen (z.B. mehr wird mehr, weniger wird weniger) werden mit durchgezogenen Pfeillinien repräsentiert, gegen gerichtete Wirkungen (z.B. weniger wird mehr) durch gestrichelte Pfeillinien.
Die verwendeten System Logics Software Tools zeigen und berechnen die in diesem Wirkungsnetz bestehenden Wirkungsketten und Wirkungskreise. Die vertiefte Analyse der Wirkungskreise erfolgt nach mehreren Kriterien: u.a. kurz- oder langfristig, direkt oder indirekt, verstärkend oder dämpfend. Diese Feedback-Analyse zeigt die steuernden Wirkungen von Variablen, von einzelnen Wirkungen und von Wirkungskreisen (z.B. als Antrieb oder Bremse). Die Wirkungen im Wirkungsnetz werden – soweit möglich – wieder mit quantitativen Daten oder auch qualitativen Informationen hinterlegt.
Bei der Analyse der Wirkungsketten und Wirkungskreise geht es um die Sichtbarmachung spezifischer Wirkungen und Systemzusammenhänge, die das aktuelle Verhalten und die zukünftige Entwicklung des Systems besonders beeinflussen. So kann eine Untersuchung des Systems im Sinne der Beantwortung der Fragestellung vertieft stattfinden. In diesem Schritt werden dabei auch besondere Kern-Zusammenhänge identifiziert, die später im Detail als Wenn-Dann-Szenarien abgebildet und simuliert werden können.
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Prozess und Ablauf:
Wenn-Dann-Szenarien und Simulation
Schritt 7 - Entwicklung von Wenn-Dann-Szenarien und Simulation
Aus den Erkenntnissen über den systemischen Gesamtkontext werden Teilfragestellungen und Maßnahmen abgeleitet und in „Wenn-Dann“-Szenarien abgebildet und untersucht. Aus deren Verhalten und Analyse werden Maßnahmenbündel entwickelt, deren Auswirkungen modelliert und auch simuliert werden können. Mit diesen “Wenn-dann"-Szenarien (auch “Teilszenarien" genannt) und deren Simulation wird untersucht, welche Maßnahmen auf welche Weise im System wirken. Hier werden insbesondere auch unterschiedlichen Zeithorizonte (kurz-, mittel- und langfristige Wirkungen) betrachtet. Für zusätzlich eingefügte Einflussgrößen und Wirkungen, deren Entwicklung simuliert werden soll, müssen nun ebenfalls wieder soweit möglich quantitative und qualitative Informationen hinterlegt werden.
Dieser umfangreiche Arbeitsschritt wird im vorliegenden Projekt nicht bearbeitet und wäre Teil eines Folgeprojekts.
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Prozess und Ablauf:
Maßnahmen und Systemevaluation
Schritt 8 - Entwicklung systemorientierter Maßnahmen und gesamtheitliche Bewertung des Systems
Auf Basis der von Frederic Vester aus Kriterien der Natur abgeleiteten “acht biokybernetischen Grundregeln” wird besonders die Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung von Maßnahmen bewertet.
Dieser Arbeitsschritt ist nicht Teil des vorliegenden Projekts.